Ein heftig-rüttelndes Ziehen aus dem Nichts, Krampf in den Fingern und ein rasch zum Hals schlagendes Herz! Der sechsjährige Reinhard hatte wieder einmal seine Finger dort, wo er sie nicht haben sollte: bei und in einer Stromquelle, er hatte die Glühbirne aus der Nachttischlampe geschraubt - wie interessant das doch war und wie markerschütternd.

Der Traktatus sieht einen elektrischen Schlag nicht vor, denn elektromagnetische Felder sind nicht Bestandteil der ‚logischen‘ Welt der Dinge. Da nützen auch die, im Traktat eingebauten Funktionen der Dinge nichts - doch darüber in einem späteren Essay mehr.

Jedes Einschalten des elektrischen Lichts durch Wittgenstein hätte ihn darauf aufmerksam machen können. Hat es vielleicht ohnehin, wenn man sein späteres Werk betrachtet.

 

 

Der junge Wittgenstein errichtet mittels seiner ersten Axiomen den - seiner Meinung nach logischen - Raum einer gestapelten IKEA-Welt. So weit, so gut. Die Sprache der Axiome ist der Mathematik entnommen, die Inhalte beziehen sich auf die physikalische Welt. Es geht um Prozesse zwischen Materie und entstandenen Wirkungen.

Insofern betreibt W. eine Philosophie der Physik. Allerdings denkt er in Kategorien der klassischen Physik des frühen 19. Jahrhunderts mit Räumen, Dingen, Tatsachen und Sachverhalten.

Maxwells Felder liegen aus dieser Sicht nach in einer unbekannten Zukunft. Schlimmer noch. Das 20. Jahrhundert brachte ineinander verwobene Raumzeiten. Wir tun uns bereits schwer, eine solche ineinander verschränkte Raum-Zeit gemäß der Relativitätstheorie vorzustellen. Die über Satelliten funktionierende Navigation auf jedem Smartphones jedoch beweist sekündlich die Realität.

Das physikalische Weltbild beruht nun nicht mehr auf Gegenständen, sondern aus viel fundamentaleren 'Dingen', die keine Dinger sind. Auf dieser tiefen Ebene beispielsweise besteht Licht als "elektromagnetische Welle" aus vielen kleinen Elementen, den Quanten. Lichtquellen senden diese Quanten aus wie ein Maschinengewehr seine Geschosse. 

 

 

Die Quantenphysik bietet noch heftigere Zumutungen an den Menschenverstand. Nehmen wir beispielsweise die Superposition in der Quantenwelt: Gegensätzlich Möglichkeiten sind "gleichzeitig da".

Der berühmte Killerspruch ‚tertium non datur‘ jeder klassischen zweiwertigen Logik zeigt sich in der physikalischen Welt nur degeneriert als Randerscheinung auf hohen Ebenen. Hinsichtlich Wittgenstein hat das eine Folge: das Kriterium der Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems ist nicht mehr gegeben. Seine Logik ist tot.

Reinhard Neumeier, Oktober 2018