Durchschummeln (a)
Studenten schummeln sich ihren Weg durch die Hochschule
Mit einem provokanten Titel veröffentlicht das New York Magazine im Mai 2025 einen Essay1, der hohe Wellen schlägt. Die These: Künstliche Intelligenz hat den Hochschulbetrieb radikal verändert und bringt ihn zum Absturz.
Das Magazin, bekannt für seinen intellektuellen Stil und seine progressive Leserschaft2, liefert keine Satire, sondern eine beunruhigend ernst gemeinte Analyse. Der Artikel, 5.300 Wörter stark, erzählt von einer Praxis, die längst auch in europäischen Hörsälen Alltag ist: der massenhaften, stillschweigenden KI-Nutzung durch Studierende.
KI als Standard – nicht als Ausnahme
Der Artikel beginnt mit dem Erfahrungsbericht eines Columbia-Studenten. Ursprünglich abgelehnt, wurde er im zweiten Anlauf von dieser Ivy-League-Universität angenommen – dafür hatte er KI eingesetzt. Nun nutzt er ohne schlechtes Gewissen bei nahezu allen Studienleistungen generative KI. Essays, Notizen, Hausarbeiten, Programmieraufgaben: Alles wird mit ChatGPT & Co erledigt.
Damit steht er nicht allein. Der Artikel berichtet auf Basis von Studien und zahlreichen Interviews mit Studierenden und Dozenten: Die Mehrheit der Studenten verwendet KI regelmäßig. Das gilt quer durch alle Fachrichtungen und Hochschultypen, von Eliteschmieden bis Community Colleges.
„Das ist doch kein Betrug“ – das Selbstbild der Studierenden
Was sagt die akademische Jugend selbst dazu? Viele sehen den Einsatz von KI nicht als Mogelei, sondern als effiziente Alltagshilfe. Sie fühlen sich überfordert von Termindruck, digitalem Stress und den starren Prüfungsformaten. KI wird zur Krücke – oder zur Abkürzung. Dabei verschwimmt zunehmend die Grenze zwischen erlaubter Assistenz und unerlaubter Auslagerung.
Was auf dem Spiel steht: Kompetenz
Das eigentliche Problem liegt tiefer: Wenn Studierende ihre Aufgaben durch KI lösen lassen, verlieren sie die Chance, eigene Kompetenzen zu entwickeln. Kreativität, kritisches Denken, analytische Fähigkeiten. Alles, was ein Studium fördern soll, bleibt auf der Strecke. Das Resultat? Eine Generation von Absolvent:innen, die zwar Titel tragen, aber wenig Eigenleistung vorweisen können.
Vom Hochstapler zum Überflüssigen?
Die Ironie: Wer heute durch generative KI das Studium „effizient“ meistert, könnte morgen durch dieselbe Technik im Beruf ersetzt werden. Was einst Automatisierung und Industrieroboter dem Blue-Collar-Worker nahmen, nimmt nun die KI dem White Collar Worker, eventuell dem der sich bis hierher durchgeschummelt hatte. Die KI zerstört vor allem die erste Sprosse der Karriere-Stufenleiter, den Einstieg als unerfahrener Junior in das Berufsleben. Die generative KI hat diese erste Sprosse zerbrochen.
3. Juni 2025
1 Walsh, James (07 May, 2025). Everyone ist Cheating Their Way Through College: ChatGPT has unraveled the entire academic project. The New York Magazine. https://nymag.com/intelligencer/article/openai-chatgpt-ai-cheating-education-college-students-school.html.
2 Drei konsultierte Chatbots (ChatGPT, Gemini und DeepSeek) chrakterisieren das New York Magazine ähnlich: überdurchschnittlich gebildete und progressive Leser:innen, eine große digitale Reichweite; das Magazin genießt hohes Ansehen und ist daher einflussreich. Wikipedia vermerkt zahlreiche Medien-Preise, unter anderem zweimal den Pulitzer Prize for Criticism.